Saison der Wirbelstürme

Die Saison der Wirbelstürme hat noch nicht begonnen, aber in den Seelen, Körpern und Herzen der Menschen in La Matosa stürmt es gewaltig. Ich hab mich ein bissl vor diesem Buch gefürchtet, und es dann in dem Rausch gelesen, in dem es geschrieben ist. Ein Sturm von Worten, ein Flut von Gewalt, Sex, Abscheulichkeiten und tiefer menschlicher Verzweiflung.

Entsetzen hab ich an vielen Stellen dieses Buches gespürt, aber je mehr ich als Leserin durch die wechselnden Erzählperspektiven in die Geschichte verwickelt wurde, desto mehr habe ich die Ereignisse und Handlungen verstanden (und auch wieder nicht verstanden). Melchor schreibt wirklich großartig, sie verführt dazu, Abscheuliches nachzuvollziehen und sich nicht loszureißen, obwohl ich mehr als einen Absatz übersprungen habe, um nicht alle Details lesen zu müssen. Sie webt ein kunstvolles Netz aus Beobachtungen und Handlungsmotiven, Auslassungen und Geschichtenbruchstücken. Ihr Schreiben offenbart tiefes Mitgefühl für ihre Charaktere und gleichzeitig eine große Wachheit für die Abscheulichkeiten der gesellschaftlichen und politischen Zustände in Mexiko, für die Verrohung, Verdummung oder Abstumpfung der Einzelnen.

Die Handlung bzw. den Handlungsteaser könnt ihr eh überall nachlesen. Ich möchte nur eine Leseempfehlung aussprechen – und vielleicht zu etwas Schnaps raten, damit euch beim Lesen nicht übel wird. Aber: Ein ganz, ganz kleines bisschen versöhnt wird man schon am Ende.

Ein riesiges Kompliment gebührt der Übersetzerin aus dem mexikanischen Spanisch, Angelica Ammar. Ich kann das Original nicht lesen, aber der deutsche Text hat eine ungeheure Wucht und Stringenz. Eine-Seite-lange-Sätze sind kein Kinderspiel!
Toll, dass die englische Übersetzung heuer auf der Long List des Man Booker International Prize steht!

Fernanda Melchor: Saison der Wirbelstürme :: Aus dem mexikanischen Spanisch von Angelica Ammar :: Verlag Klaus Wagenbach :: 234 Seiten :: 978-3-8031-2826-3 :: ca. € 14,-

Saison der Wirbelstürme von Fernanda Melchor Buchcover

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