Würden die Tiere aufbegehren

Alles vergeht. Wer klug ist, weiß das von Anfang an, und er bereut nichts.

Polen. Eine alte Frau in einem Haus, allein auf dem Land, an der polnisch-tschechischen Grenze. Sie hütet die Ferienhäuser reicher Städter. Sie leidet. Sie wettert gegen die Grausamkeiten, welche Jäger, Unternehmer und ganz normale Leute wilden und gefangenen Tieren antun. Sie beschäftigt sich mit William Blake und Astrologie. Ebenso wie der englische Dichter und Visionär Blake, der sich gegen viele herrschenden Auffassungen seiner Zeit stellte, legt sie sich mit gesellschaftlichen Autoritäten an. So wie er die Kirche, den herrschenden Rationalismus und aufkommenden Materialismus kritisierte, klagt sich über die kapitalistische Ausbeutung der Natur und den mangelnden Respekt gegenüber Tieren.

Das Buch wird als Kriminalroman und als das zugänglichste der Nobelpreisträgerin vermarktet. Zweiteres trifft wahrscheinlich zu, als Krimi würde ich das Ganze aber nicht bezeichnen. Denn Tokarczuk stellt nicht Spannung in den Vordergrund, sondern eine Art Leidensgeschichte der Hauptprotagonistin.

Es ist eine Geschichte über Außenseiter und den Rest der Gesellschaft, der rund um Grausamkeiten zusammenhält. Wo es Solidarität gibt zwischen den Randständigen, sie aber nichts gegen den herrschenden Konsens ausrichten können. Wo nur noch drastische Mittel bleiben, um Aufmerksamkeit auf Ungerechtigkeiten zu lenken.

Das Buch hat viele schöne und einige sehr berührende Stellen. Ich mag ihre philosophischen Einsprengsel, die Beobachtungen über das Leben, über Mehrheit und Minderheit in einer Gesellschaft.

Das ist es, was ich an den Menschen am wenigsten mag – kalte Ironie. Es ist eine sehr feige Haltung. Aus ihr heraus kann man alles belächeln und diskreditieren, sich für nichts engagieren, sich von allem distanzieren. Wie ein Impotenter, der keine Lust genießen kann, aber alles tut, um es den anderen zu vermiesen.

Die Frau geht eine Art Kreuzweg, um Rache zu üben. Durch ihr lückenhaftes, unzuverlässiges Erzählen sind wir auf ihrer Seite. Wir haben Angst, dass sie sich durch ihr unvorsichtiges Verhalten in die Schusslinie der Polizei begibt und verdächtig macht. Am Ende bricht es aus ihr heraus, wie eine Art Geständnis an die Leserin. Eine Beichte, die wir ihr abnehmen, da wir ihr Leiden und ihr Anliegen kennen und verstehen. Sie ist eine Rebellin, sie kämpft auf der Seite der Schwachen und Wehrlosen gegen eine Kaste von gesellschaftlich sanktionierten Mördern. Von der Kirche abgesegnet morden Politik und Wirtschaft in trauter Eintracht Lebewesen, beuten die Natur aus. Den Kindern wird das alles so spielerisch wie eindringlich eingebläut. An diesem Punkt hat sie nichts mehr zu verlieren.

Die Früchte meines Lebens sind kein Baustein von irgendetwas, weder in meiner, noch in irgendeiner anderen Zeit, niemals. / Aber warum hätten wir eigentlich nützlich sein sollen, und wem? Wer teilt die Welt in nützlich und unnütz auf, und mit welchem Recht?

Wir sind als Leserin in Geiselhaft genommen, in einer Art polnischem Stockholmsyndrom. Wir machen das alles mit, und finden es irgendwie auch ok. Ihre Anliegen sind verständlich, ihre Gegner abscheulich. So findet man sich gegen Ende der Geschichte in einem Boot mit einer Mörderin und weiß ebensowenig wir ihre wenigen Freunde, wie man sich verhalten soll. Ihre Lieben verhalten sich letztlich solidarisch. Und wir?

Die Protagonistin setzt jedenfalls ein deutliches Zeichen, das niemand im Dorf, und vor allem nicht die Kinder, die sie unterrichtet hat, je vergessen werden. Vielleicht bleiben ein paar von ihnen ja wach.

PS: Olga Tokarczuk zieht sich zum Schreiben in ein kleines Haus an der polnisch-tschechischen Grenze zurück.

Olga Tokarczuk: Gesang der Fledermäuse. Roman. Aus dem Polnischen von Doreen Daume :: Kampa Verlag :: 320 Seiten :: ca. € 24,– :: ISBN 978 3 311 10022 5

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