Verrückt?

Ein frühes Buch der wunderbaren Deborah Levy: Mitte der 90er, der BSE-Skandal ist ein riesiges Thema. Kühe werden in Massen vernichtet, weil diesen Pflanzenfressern in der Massentierhaltung belastetes Tiermehl verfüttert wurde.
Hier spricht nun eine „mad cow“, eine verrückte Kuh, respektive ein Steak. Sie stammelt, erzählt von ihrem Leben als zum Verzehr verdammtes Tier. Sie wird einem Panel von Experten vorgeführt. Daneben das Steak, das in der Vitrine des Fleischhauers vergeblich darauf wartet, gekauft zu werden, und langsam verdirbt.
Levy setzt diese „wahnsinnige“ Episode des gestörten Fleischkonsums in Beziehung zur Medizingeschichte: Auch Frauen wurden für verrückt erklärt, auf erniedrigende Art vorgeführt, z.B. von Jean-Martin Charcot an der Salpetrière, wo Patientinnen auf der Bühne hysterische Anfälle vorführen mussten (übrigens sehr toll geschildert bei Christine Wunnicke, Der Fuchs und Dr. Shimamura.) Ein wenig musste ich dabei auch an Kafkas Ein Bericht für eine Akademie denken.
Der männliche Arzt oder Wissenschaftler und das Tier, die Kuh, die Frau stehen in einem ähnlichen Verhältnis zueinander – ein in die Enge getriebenes Lebewesen, das mit Symptomen reagiert, wird für verrückt erklärt und ruhig gestellt respektive abgeschlachtet. Hier hat die Billigfleisch-essende Gesellschaft Leid verursachte, indem sie Tiere zwingt, in feindlichen Bedingungen zu leben. Dort leiden Frauen unter gesellschaftlichen Zumutungen und ja, frauenfeindlichen Verhältnissen.
Ein experimenteller Text, der mit Assoziationen und ver-rückter Sprache arbeitet, bruchstückhaft wie das schwammartig veränderte Gehirn der Tiere. Wie alles von Deborah Levy bemerkens- und lesenswert: ein sehr schmales Bändchen, und es glänzt silbern. Ja, und wirklich toll.
Deborah Levy: Diary of a Steak. Book Works 1997 . ISBN 978 1 870699 29 7


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